Kamerad Ernst Grube zu zwei Sorten Festungshaft in Landsberg und Errichtung des KZ Dachau

3. Mai 2023

Rede am 22. März 2023 in Landsberg

Verehrte Anwesende,
der Ort Landsberg und die Justizvollzugsanstalt sind auf besondere Weise mit
dem Aufstieg der Nazis, mit deren Verbrechen und Verbrechern verbunden.
Hier zeigte sich schon weit vor der Machtübertragung an die Nazis, dass in der
„Ordnungszelle Bayern“ für die Feinde der ersten deutschen Demokratie Milde
und wohlwollende Förderung galt.
1920 war hier Graf Arco in äußerst bequemer Festungshaft. Der Mörder von
Kurt Eisner, dem ersten Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern.

Ernst Grube (CC0 1.0 by Wzwz)


Der jüdische Sozialist Kurt Eisner stieß mit seinen demokratischen Maßnahmen und mit seinem öffentlichen Eingeständnis deutscher Kriegsschuld bei den alten
Eliten und nationalistischen Kreisen auf erbitterte Feindschaft. Er verkörperte für diese Kräfte das Feindbild vom Marxisten, Kommunisten und vom Juden. Der Mörder konnte die lebenslange Haft schon im Frühjahr 1924 beenden.
Gemäß diesem Feindbild schlugen Truppen der Reichswehr und Freicorps die Räterepublik mit äußerster Brutalität nieder. Über 1000 Opfer gab es allein in München. Die zahlreichen Verhaftungen und Strafprozesse richteten sich fast nur gegen Anhänger der Räterepublik, von denen mehr als 1700 verurteilt wurden.
Hier konnte Hitler trotz seines Putschversuches in äußerst komfortabler Haft einige Monate verbringen und den ersten Teil seines Pamphlets „Mein Kampf“
schreiben und sein Prestige als Führungsfigur im nationalistischen-völkischen Lager steigern.
Die organisierte Arbeiterschaft und ihre Vertreter, sowie demokratische Intellektuelle, die gegen Militarismus und das große soziale Elend kämpften, für demokratische Freiheiten eintraten und sich gegen die erstarkende Nazi- Bewegung stellten, wurden von Polizei und Justiz oft verfolgt. Ihre Haft in
Landsberg war eine regelrechte Tortur.
Wie z.B. 1930 gegen den kommunistischen Landtagsabgeordnete Fritz Dressel, der wegen einer Beteiligung an einer Erwerbslosen-Demonstration verurteilt worden war. Der bayerische Landtag hatte ihn trotz seiner Immunität ausgeliefert. In Landsberg wird der kommunistische Volksvertreter wie der
schlimmste kriminelle Verbrecher behandelt.

Fritz Dressel ist 1930 einer von 50 kommunistischen politischen Gefangenen in Landsberg. Später wird er in den ersten Wochen im KZ Dachau gefoltert und ermordet.
In den Münchner Neuesten Nachrichten vom 21. März 1933 war zur Errichtung des Konzentrationslagers Dachau die Mitteilung Himmlers zu lesen: „Hier werden die gesamten kommunistischen und – soweit notwendig – Reichsbanner- und marxistischen Funktionäre, die die Sicherheit des Staates gefährden, zusammengezogen,(…) Wir haben diese Maßnahme ohne jede Rücksicht auf kleinliche Bedenken
getroffen (…).“
Das Feindbild „Marxismus“ und „Kommunismus“ war neben dem Antisemitismus das zweite, das die Propaganda der NSDAP seit ihren Ursprüngen 1920 durchgängig nutzte. Immer wieder wurden beide „Gegner“ im Bild des „jüdischen Bolschewisten“ kombiniert und verstärkt.
Die Beteuerung der Nazis, nach einer Machtübernahme endlich aufzuräumen mit der verhassten linken Arbeiterbewegung, also mit Sozialdemokraten, Gewerkschaften und Kommunisten, war vor 1933 wesentliches Angebot an skeptische traditionelle Eliten in Reichswehr, Politik, Kirche und Industrie. In
dieser Sache konnte weitgehend Übereinstimmung und zunehmend Unterstützung erreicht werden.
Für die Nazis war klar:
Der neue Anlauf zu einem neuen Eroberungskrieg kann nur erfolgreich sein, wenn auch im Landesinneren die entschiedensten Kräfte gegen Krieg und für die Rechte der arbeitenden Bevölkerung vorher ausgelöscht und unwirksam sind.
Bei einem Geheimtreffen Anfang Januar 1933 im Haus des Kölner Bankiers von Schröder konnten der frühere Reichskanzler von Papen und Hitler Übereinstimmung erreichen bzgl. Diktatur und Aufrüstung und auch bei der Forderung nach „Entfernung aller Sozialdemokraten, Kommunisten und Juden
aus führenden Stellungen in Deutschland.“
(So Bankier von Schroeder in seiner eidesstattlichen Erklärung vor dem Nürnberger Tribunal 1946)
Nur 5 Tage nach Antritt der neuen Koalitionsregierung erreichte Hitler vor führenden Reichswehroffizieren Zustimmung zu seinem Programm und zum Ziel die „Ausrottung des Marxismus mit Stumpf und Stiel“ anzugehen.
Schon im Februar 1933 gab es zahlreiche Haussuchungen und Verhaftungen, mit dem Reichstagsbrand am 27. Februar und der „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ am folgenden Tag war dann endgültig das Signal gegeben zu flächendeckenden Verhaftungen.
Es begann eine gesteigerte Jagd vor allem auf Kommunisten, auf Sozialisten und Sozialdemokraten. 80.000 wurden allein im Jahr 1933 ohne Gerichtsverfahren oder Anklage inhaftiert. Stahlhelm, SA und SS-Männer wurden per Erlass in Polizeifunktion gebracht und damit der staatliche Verfolgungsapparat erheblich ausgeweitet.
Gegen sogenannte „staatsfeindliche“ Gruppen konnten diese nun „legalen“ Kampftruppen „mit aller Strenge“ bis hin zum Schusswaffengebrauch ihren Terror ausüben. SA und SS begannen ihre Gegner in Kellern, Kasernen, leerstehenden Fabriken zu foltern und zu quälen.
Die Parteibüros der Kommunisten wurden durchsucht und geschlossen. Am 9. März eroberten die Nazis die Macht im Münchner Rathaus. Sie besetzten und zerstörten Zeitungsredaktionen und das Gewerkschaftshaus.
Heinrich Himmler, Reichsführer SS, wurde Polizeipräsident. Allein im März 1933 nahm die politische Polizei in Bayern über 5000 politische Gegner fest. Über 2000 kamen bis Mai 1933 in das neu errichtete
Konzentrationslager Dachau. Sie alle finden in Ihrem Programmheft die Liste mit 40 Namen, vor allem
Kommunisten. Sie waren schon früh im Widerstand gegen die erstarkende Nazibewegung. Mir sind unter den Namen 2 persönlich bekannt: Hugo Jakusch und Martin Grünwiedl.
Sie haben erzählt von ihren politischen Zielen: „Wir wollten die Welt verändern, es sollte keine Not mehr für die arbeitenden Menschen geben.“ Sie waren entschiedene Kriegsgegner. Nach dem verheerenden 1. Weltkrieg mit Millionen Toten war ihnen klar, dass Hitler und seine Bewegung an der Macht Krieg und maßloses Elend bedeuten. Jakusch und Grünwiedl waren bekannt und so war es ein Leichtes sie zu
verhaften.
Martin Grünwiedl, mit dem ich mich oft getroffen habe, erzählt in einem Interview:
„Wir wollten das Gewerkschaftshaus vor der SA schützen, aber es war nicht möglich, es war so viel Polizei da, die direkt gewartet haben auf irgendetwas, und am nächsten Tag in der früh um 5 Uhr, am 10. März, waren sie schon da und haben mich geholt wie so viele andere Genossen auch geholt wurden, und
das erste war dann nach Stadelheim, dann nach Landsberg. Am 22. März 1933 wurde das Lager Dachau eröffnet und da fuhren wir nachmittags von Landsberg her, die anderen aus Stadelheim waren schon da in Dachau.“
Es begann die umfassende und systematische Verfolgung der politischen Gegner, allen voran der Kommunisten. Widerspruch erregte das in bürgerlichen Kreisen und in der Presse kaum.
Als nächstes kamen Gewerkschafts- und SPD-Funktionäre dran, vor allem Reichsbannerleute. Auch einzelne führende konservative BVP-Funktionäre waren darunter, wenngleich meist nur in kürzerer Haft.
Damit war dieser erste große Schlag gegen den alten Feind begonnen, der die Sicherung der Naziherrschaft hätte gefährden können. Eine neue Dimension von Gewalt gegen politische Gegner wurde praktiziert. Grenzenlose, willkürliche Demütigungen, Misshandlungen und Morde.
Die besondere Grausamkeit gegenüber diesen ersten vor allem kommunistischen Häftlingen, und dabei besonders gegen die Juden unter diesen, hat auch mit dem vorhin erwähnten langjährigen Feindbild zu tun. Der Hass auf die angeblichen „Vaterlandsverräter“ des 1. Weltkriegs, auf die Räterepublikaner, auf diese „roten Judenfreunde“ konnte und sollte nun ausgelebt werden.
Diese Brutalität von SA und SS wurde damit auch zum Ausgangspunkt der folgenden Erziehung und Zurichtung zum bedingungslosen Kriegseinsatz. Das KZ Dachau wurde zur „Schule der Gewalt“ für alle späteren Konzentrations- und Vernichtungslager. Zur Keimzelle eines Systems, mit dem die NS-Eliten ihre
Herrschaft sicherten, den Weg in den Raub- und Vernichtungskrieg und in den Holocaust ebneten und Millionen Menschen ermordeten.
Darunter auch die Familien der drei Schwestern meiner jüdischen Mutter. In einem Außenlager von Dachau, im Lagerkomplex Landsberg- Kaufering, wird mein Onkel Siegfried Süß-Schülein sein qualvolles Leben am 22. Dezember 1944 beenden:
Er war am 1.Dezember 1941 von Stuttgart in KZs in der Umgebung von Riga zusammen mit seiner Frau Selma, meiner Tante, deportiert worden. Er wurde weiter verschleppt ins KZ Kaunas, dann über das KZ Stutthof ins Dachauer KZ Außenlager Kaufering II . Die Odyssee meines Onkels Siegfried dauerte über drei Jahre, in denen er durch Sklavenarbeit für die Wehrmacht und die deutsche Kriegsführung, für Firmen, wie AEG, Philipp Holzmann, für die Organisation Todt und für die SS vernichtet wird. Für deren Profit und grausame Macht.

Während die Behörden des NS-Staates Krieg, Verfolgung und Vernichtung der Juden planten und durchführten, wurden die Menschen, die diese und andere Verbrechen verhindern wollten, in Gefängnissen wie Stadelheim und in KZs wie Dachau gefoltert und ermordet.


Der Widerstand der Kommunisten und anderer aktiver Antifaschisten wurde nach 1945 lange Zeit
genauso wie die beispiellosen Verbrechen des Faschismus von der Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung und ihren Eliten beschwiegen. Den Kommunisten und vielen Linken wurde ihr Recht und berechtigtes Interesse in der demokratischen Gesellschaft mitzuwirken, abgesprochen.
Ihre Organisationen, wie z.B. die KPD und FDJ wurden verboten. Wer auch nur in den Verdacht geriet, Kommunist zu sein, wurde später mit Berufsverbot belegt, antifaschistisches Handeln war ebenfalls verdächtig. Millionen waren von Ermittlungen betroffen, 11000 Verfahren gab es in der Bundesrepublik.
Die aktiven Antifaschisten setzten sich für eine Gesellschaft ein, in der nicht die Förderer und Profiteure von Faschismus und Krieg weiter bestimmenden Einfluss haben sollten.
Als Kriegs- und Atomwaffengegner haben sie sich gegen den Aufbau eines neuen Militärs gewehrt, in dem die ehemaligen Generäle der faschistischen Wehrmacht das Sagen haben. Sie haben die Wiederkehr ehemaliger Nazis in ihre alten Funktionen bekämpft, und oft haben sie dafür – wie ich – Gefängnishaft und gesellschaftliche Ächtung riskiert.
Unsere Verfolgungserfahrungen, unsere Verletzungen und Verluste zählten nicht, bestenfalls waren sie anstößig. Geehrt wurde damals niemand.

Wir gedenken heute der Menschen, die 1933 in die Hölle des Konzentrationslagers Dachau gebracht wurden. Wir ahnen das Leid, das in den Familien der 2. und 3. Generation bis heute wirkt.

Zum Gedenken gehört wissen und begreifen wollen, wie diese Verbrechen geschehen konnten,
wer Hand angelegt hat, wer beteiligt war, wer Profit und Nutzen daraus zog über das Kriegsende hinaus.
Gedenken beinhaltet auch erkennen wollen, warum diese Verbrechen nicht rechtzeitig verhindert wurden.

Ernst Grube, April 2023