„Italienisches Verfassungsgericht gibt Naziopfern grünes Licht für Entschädigungsklagen gegen Deutschland (Frank Brendle – JW 23 Okt 2014)

24. Oktober 2014

Italienische Naziopfer können nach einer Entscheidung des italienischen Verfassungsgerichtes weiterhin Entschädigungsklagen gegen Deutschland führen.
Damit hat die Bundesregierung mit ihrem Versuch, solche Forderungen zu unterdrücken, eine herbe Niederlage erlitten. Mit seinem Urteil erklärte das Gericht ein Gesetz für unwirksam, das Naziopfern den Klageweg gegen Deutschland verbaut hatte.
Dies dürfte in den Außenministerien Italiens und Deutschlands für einige Aufregung sorgen. Dort war man eigentlich der Meinung, die Angelegenheit zu Lasten der Naziopfer geklärt zu haben. Die Bundesregierung hatte die Forderungen verschleppter Zwangsarbeiter sowie Überlebender und Angehöriger von Opfern der barbarischen Massaker, die deutsche Besatzungstruppen nach 1943 verübt hatten, schon immer rigoros abgelehnt.
Nachdem die italienische Justiz ab den 1990er Jahren in mehreren Urteilen Deutschland zu millionenschweren Entschädigungen verpflichtete, verklagte die Bundesregierung ihrerseits Italien vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH). Dieser befand Anfang 2012, die italienischen Urteile verstießen gegen den Grundsatz der sogenannten Staatenimmunität, demzufolge Länder nicht durch Individuen für Kriegsunrecht verantwortlich gemacht werden können. Italien müsse solche Klagen seiner Staatsbürger gesetzlich unterbinden.
Ein solches Gesetz wurde Anfang 2013 verabschiedet – und nun vom Verfassungsgericht wieder aufgehoben. Die italienische Verfassung garantiere jedem Bürger das Recht auf ein faires Verfahren zum Schutz seiner Rechte, betonte das höchste Gericht in der Entscheidung vom späten Mittwochabend. Die Justiz an dieser Aufgabe hindern zu wollen, sei verfassungswidrig. Das Gericht positionierte sich zudem offen gegen die Auffassung des IGH: Wenn ein Staat Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschheit begehe, könne er dafür keine Immunität in Anspruch nehmen.
Als »großartigen Sieg« bezeichnete Duilio Bergamini, einer der Kläger, das Urteil. Er war als Militärinternierter zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt worden.

Der Präsident der jüdischen Gemeinde Italiens, Renzo Gattegne, sprach von einem »historischen Urteil«. Er erklärte: »Verbrechen von solcher Tragweite, die gegen jede Menschlichkeit verstoßen und das Recht auf Leben verletzen, dürfen weder verjähren noch in Vergessenheit geraten.«

Rom-14-03-1944

Festnahmen in Rom im März 1944. Die Gefangenen wurden danach in den Ardeatinischen Höhlen grausam ermordet.

 

 

 

Die deutsche Politik reagierte am gestrigen Donnerstag nicht auf die Entscheidung, einzig Ulla Jelpke, Abgeordnete der Partei Die Linke, beglückwünschte die Naziopfer und forderte die Bundesregierung auf, ihren Entschädigungs-boykott endlich aufzugeben.
Damit ist aber nicht zu rechnen, so dass offen bleibt, ob die Naziopfer tatsächlich Entschädigung erhalten oder nur »im Prinzip« Recht bekommen haben. Der einzige Weg dürfte darin bestehen, in Italien deutsches Staatseigentum zu beschlagnahmen. Gegen Vermögen der Deutschen Bahn AG und eine Villa in Norditalien war bereits eine Zwangsvollstreckung eingeleitet, wegen des IGH-Verfahrens aber wieder ausgesetzt worden.
Welche Maßnahmen dann die Bundesregierung wiederum gegen Italien ergreifen könnte – immerhin liegt ein Konflikt zwischen internationaler und nationaler Rechtsprechung vor – ist gegenwärtig kaum abzusehen und wird mit Sicherheit noch die Außenminister beider Länder beschäftigen“.