Heute zwischen Gestern und Morgen
2. Januar 2011
Kurt Tucholsky war ein höchst engagierter Friedenskämpfer und Nazigegner. »Für einen anständigen Menschen gibt es in bezug auf seine Kriegshaltung überhaupt nur einen Vorwurf: daß er nicht den Mut aufgebracht hat, Nein zu sagen.« (K.T.) Im folgenden ein Gedicht für den langen Atem.
Heute zwischen Gestern und Morgen
Wie Gestern und Morgen sich mächtig vermischen! Hier ein Stuhl – da ein Stuhl -und wir immer dazwischen! Liebliche Veilchen im März – Nicht mehr. Proletarier-Staat mit Herz – Noch nicht. Noch ist es nicht so weit. Denn wir leben – denn wir leben in einer Übergangszeit -!
Geplappertes A – B – C bei den alten Semestern. Fraternité – Liberté – ist das von gestern? Festgefügtes Gebot? Nicht mehr. Flattert die Fahne rot? Noch nicht. Noch ist es nicht so weit. Denn wir leben – denn wir leben in einer Übergangszeit-!
Antwort auf Fragen wollen alle dir geben. Du mußt es tragen:ungesichertes Leben. Kreuz und rasselnder Ruhm – Nicht mehr. Befreiendes Menschentum – Noch nicht. Noch ist es nicht so weit. Denn wir leben – denn wir leben in einer Übergangszeit -!
Theobald Tiger (Kurt Tucholsky) Die Weltbühne, 31.05.1932, Nr. 22.