Deutsche Geopolitik – Berlin schiebt ins Kosovo ab

1. März 2015

Von Jörg Kronauer (Junge Welt, 21.02.15)) Massenarbeitslosigkeit und Armut: Selbst die regierungsfinanzierte Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) räumt mittlerweile ein, dass dies auf lange Sicht die zentralen Existenzbedingungen im Kosovo sein werden. 17 Prozent der Bevölkerung haben weniger als 94 Cent pro Tag und Kopf zur Verfügung, jedes sechste Kind leidet wegen Nahrungsmangels an Wachstumsstörungen. Die Lage ist katastrophal. Die Arbeitslosigkeit erreicht 40 Prozent, bei Jugendlichen wohl sogar 70 Prozent. Und seit Jahren festigen sich nicht nur autoritäre Clanstrukturen, auch die Mafia ist im Kosovo zu einer bestimmenden Kraft geworden. (…) Wer derlei Verhältnissen entkommen will, kann kaum anders, als ins Ausland zu fliehen. Die Verantwortlichen für die katastrophale Lage im Kosovo kann man klar benennen. Der völkerrechtswidrige NATO-Überfall des Jahres 1999, die anschließende Besetzung des Kosovo und dessen illegale Sezession am 17. Februar 2008 wurden maßgeblich von der Bundesrepublik betrieben. Sieben der 20 bisherigen KFOR-Kommandeure kamen aus der Bundeswehr. Zwei deutsche UNMIK-Leiter trugen energisch dazu bei, dass die Abspaltung gelang und dass alte UCK-Kämpfer – und mit ihnen die Mafia – neuen Einfluss erlangten. Allein der Bundeswehr-Einsatz im Kosovo verschlang von Mitte 1999 bis Mitte 2013 fast 3,3 Milliarden Euro. Hinzu kamen weitere Milliarden aus EU und USA für nichtmilitärische Aktivitäten. Die Sezession des Kosovo war ein westliches Großprojekt. Wozu das Ganze? Um das Kosovo vom serbischen »Joch« zu befreien und den Menschen dort ein würdiges Leben zu ermöglichen, so jedenfalls lautet die offizielle Propaganda. Wäre sie ernst gemeint, dann müsste man die gesamte westliche Intervention, die immerhin seit fast 16 Jahren andauert, für umfassend gescheitert erklären. Tatsächlich ist es wie üblich um etwas ganz anderes gegangen – um geostrategische Ziele. Serbien, ein traditioneller Widersacher der Berliner Südostexpansion, ist durch den Verlust seiner Südprovinz deutlich geschwächt, sein traditioneller Verbündeter Russland damit ebenfalls hart getroffen worden. Stark profitiert hat hingegen die Bundesrepublik, die ihre Macht ausdehnen und zugleich ein Exempel dafür statuieren konnte, was widerspenstigen Kräften im deutsch dominierten Europa droht. Und wenn dabei so desolate Lebensverhältnisse entstanden sind, dass die Menschen in Scharen fliehen – nun, dann setzt man eben die Abschiebemaschinerie in Gang und zieht bei Bedarf noch den einen oder anderen »Grenzzaun« hoch. Hunger und Elend jedenfalls sind keine Faktoren in der deutschen Machtpolitik.